Die Autoindustrie und ihre neue Präsidentin Hildegard Müller wollen eine Kaufprämie erzwingen. Doch sie drohen ihren wichtigsten Kampf zu verlieren. Warum? Eine Spurensuche.
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Wenn Finanzminister Olaf Scholz (SPD) über das Konjunkturpaket spricht, mit dem er die Wirtschaft in Deutschland stimulieren will, nennt er gern vier Kriterien. Das Programm müsse zum richtigen Zeitpunkt kommen, zielgerichtet und zeitlich befristet sein – und die technologische Transformation fördern.
Für Hildegard Müller sind es weniger ökonomische Kriterien, vielmehr politische Alarmsignale. Müller ist seit wenigen Monaten Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA). Sie soll die Lobbyorganisation, in der Hersteller und Zulieferer mit ihren diversen Interessen vereint sind, in die Post-Verbrenner-Ära führen.
Als wäre das nicht schon schwierig genug, hat sie nun auch noch mit der Coronakrise zu kämpfen – und mit einem kollektiven Käuferstreik. Allein im April gingen die Pkw-Neuzulassungen in Deutschland gegenüber dem Vorjahresmonat um mehr als 60 Prozent zurück.
Moment – so etwas Ähnliches gab’s doch schon mal, dachten sich also Müller und andere Branchenvertreter, und kramten eine Idee aus der Schublade hervor: die Abwrackprämie. In der Finanzkrise erhielt 2500 Euro, wer sein altes gegen ein neues Auto tauschte.
Nur standen damals nicht die Kriterien im Vordergrund, die Scholz und andere nun nennen. Noch hatte sich gezeigt, dass die Prämie vor allem zu Mitnahmeeffekten führte. Bei Konsumenten, die den Kauf vorzogen, und bei Händlern, die weniger eigene Rabatte gaben. Und natürlich war auch noch keine Rede vom Dieselskandal und vom Ende des Verbrennermotors.
Von einem staatlichen Kaufanreiz für alle Autos, also auch für Verbrenner, will deshalb in Berlin nun kaum jemand mehr etwas wissen. „An der Kaufprämie ist alles falsch“, sagt FDP-Chef Lindner. Auch in den Regierungsfraktionen ist die Stimmung nicht viel besser. Technologien aus dem 20.
Jahrhundert zu fördern löse keine Probleme von morgen, heißt es in der SPD. Und bei den Wirtschaftsexperten der Union lautet das unzweideutige Urteil: „Eine milliardenschwere Kaufprämie für die Automobilindustrie lehnen wir ab.“ 2020 könnte also tatsächlich ein Wunder geschehen: Die Forderungen der Industrie verhallen. Und Müller verliert ihren ersten und wichtigsten Kampf im neuen Job.
Dabei schien sie eine Traumbesetzung zu sein. Wer sich bei Leuten umhört, die Müller gut kennen, hört vor allem Positives: Herzlich, uneitel, pragmatisch sei sie und eisern diszipliniert. Sie verfüge über ein enormes Stehvermögen und setzte sich sich auch in männerdominierten Runden durch. „Eigentlich ist sie wie Merkel“, sagt ein Insider.
Im Unterschied zur Kanzlerin ist Müller allerdings lange aus der Politik heraus. 2008 wurde sie Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Energie- und Wasserwirtschaft, dann Vorstand bei RWE, bevor sie schließlich zum VDA wechselte. „Ihre größte Bürde ist, dass der Verband noch immer als mächtig gilt“, sagt ein Beobachter: „Das weckt Erwartungen, die gar nicht zu erfüllen sind.“
Helfen ja – aber nicht so
Vielleicht passte Müller sich deshalb rasch an die Gepflogenheiten der Hersteller an. Über den Lobbystil von Volkswagen und Co. fallen im Regierungsviertel Urteile wie „plump“ und „vorgestrig“, „das erinnert an die Bonner Wildwestmethoden der Neunzigerjahre“, sagt einer, der lange im Geschäft ist. Dabei bestehe Müllers Aufgabe doch gerade darin, die Maximalinteressen der Wirtschaft mit den Überzeugungen der Politik zusammenzubringen. Stattdessen „erwarten sie und die anderen Industrievertreter offenbar, dass wir über ihr Lobbyisten-Stöckchen springen und eine Kaufprämie für alle Autos absegnen, damit die Hersteller ihre Höfe leerverkaufen können“.
Dabei ist die Politik durchaus willens zu helfen. Schließlich ist die Branche wichtig. Nur gibt es eben Mindestanforderungen, sowohl, was die Art des Lobbyings als auch die Wahl der Mittel angeht. Nach dem Prinzip ‚Better call Kanzlerin – und die Sache läuft‘ vorzugehen erscheint dabei genauso wenig fortschrittlich wie eine üppige Förderung von Verbrennern.
Und so zeichnet sich mit Blick auf den Koalitionsausschuss, der Anfang Juni die Weichen für das Konjunkturprogramm stellen soll, bereits eine mögliche Lösung ab: Der Staat übernimmt den Anteil der Industrie an der bereits existierenden Kaufprämie für Elektroautos und fördert formal auch besonders spritsparende Verbrenner. Die Industrie wiederum leert ihre Höfe durch eine selbstfinanzierte Rabattschlacht auf größere Autos.
Die Politik erweckte nicht den Eindruck, die Vergangenheit zu fördern. Und die Industrie könnte ihr Gesicht wahren. Für Müller und den VDA wäre das nach vielen suboptimalen Wochen fast schon ein großer Erfolg. Von Sven Böll, 21. Mai 2020.